Spezifisches Krafttraining im Eishockey: Teil 2 – Trainingspraktische Konsequenzen
23. Oktober 2017Im ersten Teil der Serie habe ich die wichtigsten Parameter der Skatebewegung analysiert, welche die Entscheidungsgrundlage für die Planung und Durchführung eines spezifischen Krafttrainings im Eishockey darstellen:
- Differenzierung zwischen Beschleunigungsphase und Phase maximaler Geschwindigkeit
- Notwendigkeit einer hohen Relativkraft in der Beinstreckerschlinge zur Überwindung des initialen Trägheitsmoments von Körpergewicht und zusätzlicher Ausrüstung
- Gut ausgeprägte Schnellkraftfähigkeit innerhalb von 0,28-0,5 (Beschleunigungsphase) bzw. 0,48-0,57 Sekunden (maximale Geschwindigkeit).
Die größte Herausforderung besteht nun darin, aus diesem Wissen die richtigen Konsequenzen für den Trainingsprozess zu ziehen, um einen möglichst hohen Übertrag auf die Zielbewegung (maximaler Abdruck vom Eis) gewährleisten zu können. Leider kommt es an diesem essentiellen Punkt häufig zu Fehleinschätzungen bezüglich der Effektivität von vermeintlich (!) sportspezifischen Übungsausführungen. Ein Beispiel aus dem Eishockey ist der Einsatz kreativer Ausfallschritt Variationen, welche lediglich äußere parallelen zur Zielbewegung (z.B. einbeiniger Abdruck, evtl. seitlich abduziertes Bein etc.) aufweisen. In der Regel wird der Einsatz dieser Übungen durch eine scheinbar schlüssige Argumentationskette gerechtfertigt (“Abdruck erfolgt einbeinig und lateral, deshalb muss ich im Kraftraum seitliche oder 45° Ausfallschritte machen.” o.ä.). Dabei wird schnell vergessen, was der eigentliche Sinn und Zweck eines zusätzlich durchgeführten Krafttrainings ist. Nämlich die Verbesserung spezifischer neuromuskulärer Fähigkeiten, welche das Potenzial besitzen die Leistung in der Zielbewegung zu steigern. Der Versuch die Zielbewegung im Krafttraining zu imitieren, geht aber auf Kosten dieser ursprünglich beabsichtigten neuromuskulären Anpassungen. So wird es nicht möglich sein, die neuronale Ansteuerung der Muskulatur (im Sinne der intramuskulären Koordination) über bewusst eingesetzte “instabile” Übungen wie Ausfallschritt-Variationen zu verbessern (siehe Bild). Ohne an dieser Stelle tiefer in die Thematik einzusteigen (dies erfolgt in einem eigenen Beitrag), soll folgendes Zitat die Problematik verdeutlichen:
“Likewise, we must avoid falling in the simulation trap, i.e. being fooled by outward appearances and kinematics. An exercise may look like a target task without being specific to it.” Plisk (2008) [1]
Letztendlich kann ein optimaler Transfer von gesteigerten Kraftfähigkeiten nur über die Ausführung der Zielbewegung (Eishockey Training) selbst erfolgen. Es geht also um die Effektivität einer Trainingsintervention. Und diese sollte im Rahmen einer hochwertigen Trainingsbetreuung immer anhand spezifischer neuromuskulärer Messgrößen, welche eine hohe Relevanz für die Zielbewegung besitzen, überprüfbar sein.
Und damit kommen wir zurück auf die Punkte 1-3. Einfach durchführbare und für Eishockey relevante Leistungstests sind die
Erfassung der dynamischen Maximalkraft (1 RM Kniebeuge) und der Schnellkraftfähigkeit (indirekt über Squat Jump und Counter Movement Jump; Vgl. Bild links). Sie geben einen Einblick in das neuromuskuläre Entwicklungspotenzial des Athleten, dienen als Steuerungsgröße im Verlauf des gesamten Trainingsprozesses und objektivieren die Effektivität einer Trainingsintervention (und damit auch die Qualität des Trainers!).
Aus trainingswissenschaftlicher Sicht ergibt sich aus der vorgenommenen Analyse vor allem die Notwendigkeit eines gut ausgeprägten Maximalkraftniveaus in der Beinstreckerschlinge. Güllich und Schmidtbleicher (1999) verweisen auf den maßgeblichen Einfluss des Maximalkraftniveaus auf Schnellkraftleistungen, welche in Zeitfenstern von über ca. 200ms erbracht werden. Während eines Strides steht einem Athleten nur ein begrenzter Beschleunigungsweg zur Verfügung. Wie in Teil 1 ermittelt, beträgt dieser in der Kniestreckung zum Beispiel ca. 55,7°. Zusätzlich wird dieser Weg mit einer maximal möglichen Bewegungsgeschwindigkeit ausgeführt. Aus der Kombination dieser beiden Parameter ergibt sich letzten Endes das Zeitfenster, in welchem eine Krafteinwirkung (Abdruck vom Eis) und damit eine positive Beschleunigung des Körpers stattfinden kann. Im Eishockey liegen diese Zeitfenster deutlich überhalb von 200msec (0,28-0,5 bzw. 0,48-0,57 Sekunden) und sind somit stark vom Maximalkraftniveau des Athleten abhängig. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass bei Schnellkraftleistungen, welche unterhalb von 200msec erbracht werden müssen (z.B. einem Boxschlag) der Kraftanstieg und somit die Start- und Explosivkraft (Rate of Force development) den entscheidenden Einflussfaktor darstellen.
Es gilt also zunächst die Maximalkraft als Basisgröße und größten Einflussfaktor auf die spezifische Schnellkraftfähigkeit im Eishockey auf ein angemessenes Niveau zu heben. Dabei folgt die Entwicklung der Maximalkraft (der Beinstreckerschlinge) aber keinem Maximaltrend sondern muss immer in Relation zum Gewicht des zu beschleunigenden “Körpers” (Körpergewicht + Ausrüstung) gesetzt werden. Sie folgt also einem Optimaltrend. Auf Grundlage der Arbeit von Suchomel (2016) [3] können wir als grobe Orientierung von einem Relativkraftwert von 2,0 in der Kniebeuge (hinten) in der langfristigen Entwicklung eines Athleten ausgehen. Da Eishockey eine Kontaktsportart ist sollte aus präventiver Sicht auf ein ausreichend hohes Körpergewicht bei moderatem Körperfettanteil (unter 10%) geachtet werden. Diese Aspekte sollten bei der Zielsetzung der absoluten Maximalkraft (letzten Endes als Berechnungsgrundlage für die Relativkraft) unbedingt berücksichtigt werden. Im Falle eines 70kg schweren Spielers mit einer absoluten Maximalkraft von 140kg (angemessene Relativkraft von 2,0) wäre die Entwicklung zusätzlicher Muskelmasse langfristig zielführender, auch wenn dadurch wahrscheinlich (kurzfristig) Einbußen in der Relativkraft in Kauf genommen werden müssten.
Prinzipiell stehen für die Steigerung der Maximalkraft zwei effektive Trainingsmethoden zur Verfügung. Das ist zum einen der Aufbau von zusätzlicher Muskelmasse (Hypertrophietraining), welches das muskuläre Potenzial des Athleten vergrößert. Und ein Training, welches die intramuskuläre Koordination (IK-Training; Rekrutierung, Frequenzierung und Synchronisation) verbessert und somit zu einer verbesserten Ausnutzung des vorhandene muskulären Potenzials führt. Dabei muss angemerkt werden, dass sich durch ein Hypertrophietraining zwar die absolute Maximalkraft effektiv steigern lässt, aber dies mit keiner nennenswerten Verbesserung der Schnellkraft bzw. des Kraftanstieges einhergeht (Vgl. Abbildung oben, entnommen aus [4]). Erst die Kombination beider Trainingsmethoden, im Idealfall in aufeinanderfolgenden Trainingsblöcken, führt zu den erwünschten körperlichen Anpassungen. Dies sind vor allem ein steilerer Kraftanstieg zu Beginn der Kontraktion und ein höheres realisiertes Kraftmaximum während der Bewegungsausführung.
Neben den Verbesserungen der Schnellkraftfähigkeit durch ein IK-Training hat sich der ergänzende Einsatz von explosiv ausgeführten Übungen wie Reißen, Stoßen, Züge, Sprungkniebeugen etc. bewährt. Dabei sollte aber beachtet werden, dass je geringer der gewählte Widerstand in diesen Übungen ist, Anpassungen aufgrund der hohen Bewegungsgeschwindigkeit vermehrt über eine verbesserte INTERmuskuläre Koordination erfolgen. Ohne die Hintergründe hierfür auch noch im Detail zu erläutern sind die Ursachen hierfür auf sarkomerer Ebene (wahrscheinlich geringes Zeitfenster für Querbrückenzyklus) zu suchen.
Als letzten entscheidenden Baustein in der Trainingsplanung sind Sprungformen zu nennen. Eine Vielzahl von Untersuchungen haben gezeigt, dass kombinierte Trainingsinterventionen überlegene Ergebnisse zur Steigerung der Schnellkraftfähigkeit brachten. Dabei wurden Methoden des IK-Trainings, des Schnellkrafttrainings (siehe Bild links) und des plyometrischen Trainings kombiniert. Der Einsatz von Sprungformen soll allerdings noch eine weitere wichtige Aufgabe erfüllen:
Normalerweise ist es im Sommer nur selten möglich, ein Eistraining durchzuführen. Ein Training der Zielbewegung, als einzige wirklich spezifische Belastungsform, bleibt demnach aus. Durch möglichst spezifische Sprungformen kann aber zum Ende der Off-Season der Versuch unternommen werden, den Transfer in die Zielbewegung zu erleichtern. Dabei muss klar sein, dass (wie ausführlich beschrieben wurde) die koordinativen Anforderungen der Zielbewegung nicht kopierbar sind! Im Unterschied zum Krafttraining können durch Sprungformen einige wenige Faktoren so moduliert werden, dass sie den Bedingungen der Zielbewegung entsprechen. Dies sind vor allem Winkelgeschwindigkeiten, Bodenkontaktzeiten und Kraftvektoren.
Fazit
In diesem Beitrag habe ich die wichtigsten trainingswissenschaftlichen Hintergründe erläutert, welche bei der Planung und Durchführung eines eishockeyspezifischen Trainingsprogramms zu beachten sind. Dies sind:
- Keine Simulation der Zielbewegung im KRAFTtraining
- Hypertrophietraining zur Vergrößerung des muskulären Potenzials (falls nicht ausreichend) und der Maximalkraft
- IK-Training zur Steigerung der Maximalkraft und Verbesserung der Schnellkraftfähigkeit durch eine bessere neuronale Ausnutzung des muskulären Potenzials (intramuskuläre Koordination)
- Kombination von IK- und Schnellkrafttraining zur weiteren Verbesserung der Schnellkraftfähigkeit sinnvoll
- Versuch über spezifische Sprungformen den Transfer in die Zielbewegung zu erleichtern
Weiter zu Teil 3: Case Study Marius Erk vom EC Bad Nauheim
Quellenangabe
[1] Plisk, Speed, Agility, and Speed-Endurance Development. In: Essentials of Strength Training and Conditioning (2008).
[2] Güllich, Schmidtbleicher: Struktur der Kraftfähigkeiten und ihrer Trainingsmethoden (1999).
[3] Suchomel et al: Importance of Muscular Strength in Athletic Performance (2016).
[4] Wirth, Schmidtbleicher: Periodisierung im Schnellkrafttraining (2007).
Bildnachweis
Güllich, Schmidtbleicher: Struktur der Kraftfähigkeiten und ihrer Trainingsmethoden (1999).
http://www.kevinneeld.com/off-ice-training-for-goalies/