In-Season Krafttraining für Teamsportler – Teil 1: Theoretischer Hintergrund

Das Krafttraining während der Saison hat ein klares Ziel: Erhalt und möglicherweise Ausbau der für die Sportart relevanten Kraftfähigkeiten. Über den Saisonverlauf sollten mindestens 90% der Leistung in diesen Kraftfähigkeiten erhalten werden, um das Verletzungsrisiko zu minimieren und die maximale Schnelligkeit/Schnellkraft zu erhalten. Die unterschiedlichen Trainingsreize müssen dabei sowohl zeitlich als auch inhaltlich intelligent in den Wochenverlauf eingeplant werden. Dabei ist die Kunst weder zu viele (Leistungsabfall durch Übertraining/Unterregeneration) noch zu wenige (Leistungsabfall durch Detraining) Trainingsreize zu setzen. In diesem Artikel stelle ich mein Konzept eines wissenschaftlich fundierten Krafttrainings für die In-Season vor, wie ich es mit meinen Athleten durchführe.

Off-Season Training – Die Basis für eine überlegene Athletik

Eine Vielzahl an Trainingsanpassungen müssen mit dem Beginn der In-Season abgeschlossen sein. Die Muskelmasse beispielsweise bildet die Grundlage für viele weitere athletische Fähigkeiten. Die entsprechenden biologischen Anpassungsprozesse laufen aber verhältnismäßig langsam ab. So benötigt man mindestens 6-8 (besser 12) Wochen Training um nennenswerte morphologische Veränderungen der Muskelmasse (Hypertrophie) zu erreichen. Da diese Form des Trainings einen stark ermüdenden Charakter hat (verminderte Sprungleistung für bis zu 72 Stunden!!) ist ein entsprechendes Training während der Saison auf jeden Fall kontraproduktiv. Die neuronalen Anpassungsprozesse an ein Maximalkraft- oder Reaktivkrafttraining hingegen laufen wesentlich schneller ab und können mit relativ wenig Aufwand und geringer Ermüdung auf einem hohen Niveau gehalten werden. Negative Auswirkungen auf nachfolgende Teameinheiten (langsamerer Antritt, geringere Sprungkraft etc.) sind bei intelligentem Einsatz also nicht zu befürchten.

Dies zeigt auch eine Studie an 22 Handballspielern (nationales Niveau) von 2017 [1]: Es wurden die Auswirkungen eines In-Season Maximalkrafttrainings (80 - 95 % des 1er-Maximums, 1 - 3 Wiederholungen, 3 - 6 Sätze, 3 - 4 min Pause) auf die Entwicklung der Leistungsfähigkeit untersucht. Alle Spieler der Trainingsgruppe konnten ihre Leistung in der Maximalkraft, der Schnellkraft (CMJ-Leistung) und der Repeated-Sprint-Ability signifikant steigern. Interessant ist dabei, dass das Training zweimal wöchentlich direkt vor dem Handballtraining durchgeführt wurde. Ein Hinweis darauf, dass Leistungseinbußen durch ein Maximalkrafttraining nicht zu erwarten sind!

Eine hohe Leistungsfähigkeit während der Saison basiert also auf den biologischen Anpassungen an ein gut strukturiertes Off-Season Training (in allen Bereichen, nicht nur im Bezug auf den Muskelmasseanteil!). Diese werden dann während der Saison durch spezifische Trainingsreize (z.B. Maximalkrafttraining, Reaktivkrafttraining) auf einem möglichst hohen Niveau gehalten. Idealerweise werden mit dem Abschluss der Off-Season die für die Sportart relevanten Fähigkeiten in Leistungstests ermittelt. Die Ergebnisse bilden dann die Baseline jedes Athleten, an der es sich während der Saison zu orientieren gilt (Stichwort 90% Leistungserhalt). Dazu aber später mehr.

Spezifische Kraftfähigkeiten – Use it or lose it!

In fast allen Team- und Ballsportarten sind die Schnelligkeit, die Schnellkraft (vor allem ihr Teilbereich “Explosivkraft”) und die Reaktivkraft die leistungsbestimmenden Einflussfaktoren. Deshalb muss der Erhalt der maximalen Leistung in diesen Fähigkeiten im Fokus des In-Season Trainings stehen. In diesem Zusammenhang müssen zwei Dinge beachtet werden:

  1. Die maximale Leistung in diesen Fähigkeiten beginnt als erstes wieder abzufallen, sofern kein spezifischer Trainingsreiz gesetzt wird. Issurin (2008) gibt für die maximale Schnelligkeit einen Zeitraum von 5 +/- 3 Tagen an [2].
  2. Die Fähigkeiten Schnelligkeit, Schnell- bzw. Explosivkraft und Reaktivkraft sind voneinander abzugrenzende Erscheinungsformen der Kraft. Das bedeutet sie können und müssen (neuro-) physiologisch voneinander getrennt betrachtet werden und benötigen jeweils spezifische Trainingsreize um erhalten zu werden.

Ohne zu tief in die Thematik einzusteigen möchte ich deshalb an dieser Stelle sehr praxisnah beschreiben, worum es sich bei diesen spezifischen Kraftfähigkeiten handelt:

  • Schnellkraft beschreibt wieviel Kraft im (Zeit-)Rahmen einer sportlichen Bewegung produziert werden kann. Drückt sich ein Wide Receiver zum Beispiel für seinen ersten Schritt vom Boden ab ist der limitierende Zeitrahmen die Dauer dieser Abdruckbewegung. Sie beginnt mit dem Snap bzw. dem neuronalen Signal das Bein explosiv zu strecken und endet sobald der Fuß den Boden verlässt.
    • Die Explosivkraft stellt einen Teilbereich der Schnellkraft dar und beschreibt wie schnell ein Athlet die Kraft ab dem Beginn dieser Bewegung entfalten kann. Deshalb wird die Explosivkraft auch als Kraftbildungsrate oder englisch “Rate of Force Development” beschrieben. In der Grafik ist sie als Anstieg der Graphen bis 200ms abgebildet. Ein Wide Receiver mit besser ausgebildeter Explosivkraft wird dadurch in kürzerer Zeit mehr Kraft auf seinen Körper übertragen können (roter Graph), als ein weniger explosiver Spieler (z.B. schwarzer Graph). Eine absolut entscheidende Fähigkeit!
  • Die Reaktivkraft ist vor allem bei schnellen Richtungswechseln und maximalen Sprint- und Sprungbewegungen ein entscheidender Leistungsfaktor und steht somit in einem engen Zusammenhang mit der Schnelligkeit. Sie beschreibt, wie gut ein Athlet in der Lage ist Kräfte über den Muskel-Sehnen-Komplex zu absorbieren und wieder auf den Körper zu übertragen. Im Bild rechts ist der Muskel-Sehnen-Komplex der Wade während einer plyometrischen Übung zu sehen. Am einfachsten stellt man sich diesen Komplex als starkes Gummiband vor, welches schnell gedehnt wird und durch ein zurückschnellen in die Ausgangslänge Kräfte (genauer gesagt Drehmomente in den Gelenken) wieder freisetzt.

Abschließend bleibt noch zu sagen, dass ausgehend von der klassischen Strukturierung der Kraftfähigkeiten [3] die Maximalkraft als Basisgröße aller Kraftfähigkeiten anzusehen ist. Das Maximalkraftniveau bedingt demnach zu einem Teil die Reaktivkraft- und Schnellkraftleistungen eines Athleten und sollte deshalb immer auf einem maximalen Niveau gehalten werden.

Voraussetzungen für spezifische Trainingsreize

Der menschliche Körper passt sich immer spezifisch an einen Trainingsreiz an. Wenn jede der oben beschriebenen Fähigkeiten auf einem hohen Niveau erhalten bleiben soll, müssen sie jeweils durch spezifische Trainingsreize optimal angesteuert werden. Hierfür ist die wichtigste Voraussetzung, dass sich der Athlet in einem erholten Zustand befindet. Vor allem für die Reaktiv- und Schnellkraftreize ist dies unabdingbar, denn hier führen nur maximale Aktivierungsmuster zur spezifischen Reizsetzung. Natürlich ist es während einer laufenden Saison nicht immer möglich einen Trainingsreiz in vollständig erholtem Zustand zu setzen. Wird diese Voraussetzung allerdings regelmäßig ignoriert prägt der Athlet im ungünstigsten Falle langsamere neuronale Ansteuerungs- und damit Bewegungsmuster aus, die ihn letzten Endes langsamer machen. Praktisch ausgedrückt heißt das, wenn ich bei einem Sprung nur 85% meiner Leistung abrufen kann, weil ich 10 Stunden vorher ein Teamtraining hatte, dann ist dieser Trainingsreiz

  • submaximal
  • wahrscheinlich nicht mehr der spezifischen Fähigkeit zuzuordnen
  • und somit ineffektiv bis kontraproduktiv!

Deshalb muss die spezifische Reizsetzung unbedingt zu einem passenden Zeitpunkt in der Trainingswoche erfolgen. Sind, wie bei Samsung Frankfurt Universe, 3 Teameinheiten pro Woche (Dienstag, Donnerstag und Freitag) und ein Samstagsspiel (auf das natürlich aktive Regenerationsmaßnahmen folgen…) geplant, sollte das Krafttraining Montag Abend gesetzt werden. Findet das Spiel Sonntags statt muss abgewogen werden, ob die Regenerationszeit bis Dienstag früh ausreichend war, um ein qualitativ hochwertiges Training durchzuführen. Gegebenenfalls sollte das Volumen reduziert (weniger Wiederholungen/Sätze/Übungen), die Intensität aber maximal gehalten werden. Wie oben beschrieben sind für das Teamtraining am Dienstagabend keine negativen Auswirkungen zu befürchten.

Erholungszustand messen – Eliminate the guesswork

Um eine belastbare Aussage über den Erholungsgrad eines Spielers treffen zu können eignen sich einfache Testverfahren wie eine Sprungkraftmessung oder die Erfassung der maximalen Power (z.B. mit dem Keiser Squat Air 300). Eine Studie aus 2017 [4] konnte zum Beispiel zeigen, dass die Sprunghöhe mit der nachfolgenden Kniebeugenleistung signifikant korreliert. Dabei führte ein erstes Training (48 Stunden vorher) zu einer Reduktion der Sprunghöhe um 8,4% und einer Abnahme der maximalen Wiederholungszahl in der Kniebeuge um durchschnittlich 5,6 Wiederholungen. Aber auch die Messung der maximalen Power in 2 aufeinanderfolgenden 6s Fahrradergometer Sprints hat eine entsprechende Aussagekraft [5]. Wichtig ist, dass der Test immer unter gleichen Bedingungen stattfindet und das neuromuskuläre System maximal gefordert wird.

Um die aktuelle Tagesleistung bewerten zu können werden verlässliche Referenzwerte benötigt. Also Werte die in ausgeruhtem und trainiertem Zustand sauber ermittelt wurden. Normalerweise geschieht dies am Ende der Off-Season. Diese Referenzwerte dienen als “Baseline”, mit welcher die aktuelle Tagesleistung während der gesamten Saison abgeglichen wird. Folgende zwei Beispiele verdeutlichen das Vorgehen:

Athlet A springt am Ende der Off-Season 56,4cm im Jump and Reach Test (siehe Bild),  was seine Baseline darstellt. Sonntags stand ein intensives Spiel auf dem Plan, in dem der Athlet viel Spielzeit hatte. Dadurch ist es unwahrscheinlich, dass er seinen Baseline Wert montags im Krafttraining erreicht. Springt er bspw. 52,8/53,4/53,1 cm (94,68% seiner Baseline) im Tagestest ist das ein deutlicher Hinweise darauf, dass sein neuromuskuläres System keine maximale Leistung bringen kann. Eine maximale (sprich optimale) Reizsetzung im Bereich Reaktivkraft/Schnellkraft ist so nicht möglich. Abhängig vom weiteren Wochenverlauf sollte der Athlet das Volumen im Krafttraining deutlich reduzieren, und sich auf den Oberkörper und mögliche Schwachstellen konzentrieren.

 

Kann Athlet B am Ende der Off-Season im Keiser Squat Air 300 eine Peak Power von 3000 bei Widerstand 190 erreichen ist das seine Baseline. In besagtem Spiel hatte Athlet B nur wenig Einsatzzeit und erreicht montags Peak Power Werte von 2980/2950/2992 (99,7% seiner Baseline) bei gleichem Widerstand. Sein neuromuskuläres System ist also bereit maximale Reaktivkraft-/Schnellkraftleistungen zu generieren und damit eine optimale Reizsetzung in den entsprechenden Fähigkeiten zu garantieren. Er würde das volle Programm mit maximaler Intensität durchführen.

Praktische Zusammenfassung & Ausblick

  • Nur in ausgeruhtem Zustand maximale Schnellkraft-, Reaktivkraft- und Maximalkraftreize setzen
  • Tagesaktuellen Erholungsgrad über einfache Testverfahren (Sprungmessung, Peak Power etc.) ermitteln
  • Leistung mit den Baseline Werten abgleichen
  • Bei starken Abweichungen ggfs. Trainingsvolumen reduzieren
  • Bei vergleichbarer Leistung: Reize mit maximaler Intensität setzen, ohne Ermüdung zu riskieren!

In Teil 2 der Serie geht es um die praktische Umsetzung des Krafttrainings mit konkreten Übungsbeispielen und Satz-/Wiederholungsangaben etc.

Quellenangaben

[1] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28662531
[2] Issurin, Block periodization versus traditional training theory, 2008.
[3] Güllich, Schmidtbleicher, Struktur der Kraftfähigkeiten und ihrer Trainingsmethoden, 1999.
[4] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28902119
[5] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25115142

Bildnachweis

Schnellkraft Graph: http://strongbyscience.net/2017/02/18/rate-of-force-production/